Speeldeel zeigt: Nicht jeder kuschte vor brauner Obrigkeit Burg 2003 Inge Schwohn Unter der Regie von Speelbaas Hermann Hansen spielte die Groote Speeldeel „Vör öber 50 Johr — As wenn nix wesen weer“. Leider blieben viele Plätze auf den Tribünen wegen der großen Hitze leer. Die Zuschauer, die dem Wetter trotzten, darunter auch mehrere Bürgermeister der umliegenden Gemeinden, Amtsvorsteher Gerd Raabe und der CDU-Landesvorsitzende Peter Harry Carstensen, ließen sich von dem geschichtsträchtigen Schauspiel und dem beeindruckenden Spiel der Laiendarsteller in den Bann ziehen. Das Stück spielt 1944/45 und könnte sich zu Zeiten der Naziherrschaft überall in Deutschland so zugetragen haben. Ein Dorf wird von Ortsgruppenleiter Fritz Imhoff (Sönke Stahl) und der Frauenschaftsleiterin Isolde Winkmann (Renate Hamann), die beide nur ihren Vorteil im Auge haben, drangsaliert. Der Ortsgruppenleiter saniert den von der Pleite bedrohten Hof seines trinkfreudigen Vaters mit billigem Land eines vor der Enteignung stehenden Juden und verdoppelt sein Erbe, indem er den behinderten Bruder in eine Anstalt stecken lässt und ihn so der Euthanasie preisgibt. Die Frauenschaftsleiterin setzt sich unermüdlich dafür ein, dass das nationalistische Gedankengut ihres Führers endlich und endgültig in jedem Haushalt Fuß fasst. Aber nicht jeder im Dorf kuschte vor der braunen Obrigkeit. In Hansens Darstellung ist es Familie Wilkens, die sich gegen die örtlichen Machthaber auflehnt - leise zwar, aber wirkungsvoll. Opa Heinrich (Walter Arriens), seine Tochter Margarethe (Karla Kühl), Enkelin Lenchen (Karin Brandt) und Enkel Martin (Willi Maes), der polnische Kriegsgefangene Marek (Alfred Hamann) sowie Hausschlachter Jakob Föhrenbach (Adolf Schildt) tun ihr Möglichstes, den Braunen jedes nur mögliche Schnippchen zu schlagen. Sie helfen dort, wo Hilfe nötig ist, und Dank ihrer Pfiffigkeit gelingt ihnen eine Schwarzschlachtung. Auch ihren eigenen Schnaps brennen sie selbst. Turbulent geht es auf der Bühne zu, als die Siegermächte näher rücken und auch dem letzten klar wird, dass es mit dem Tausendjährigen Reich zu Ende geht. Zunächst werden nur die Schweine der Imhoffs und Wilkens verwechselt. Dann aber macht sich der Ortsgruppenleiter aus dem Staub. Marek schlüpft in dessen braune Uniform und wird prompt als „Nazischwein“ von den Amerikanern verhaftet. „Dass Marek an Stelle von Imhoff ‚versehentlich‘ von den Amerikanern gefangen genommen wird, ist in der Theaterwelt ein recht gängiges Thema, nämlich ‚Kleider- und Rollentausch‘, erklärte Hermann Hansen. Trotz gefallener und vermisster Familienmitglieder lebt Bauernfamilie Wilkens ihr gewohntes Leben. Während die braunen Horden nach Ende des Krieges ihr Mäntelchen wieder nach dem Wind hängen, setzten sie sich gegen das Vergessen ein. Den älteren Zuschauern dürfte das Schauspiel die Erinnerungen an die schlimmen Zustände während der Naziherrschaft wieder wach gerufen haben. Und den Jüngeren wurde für gute zwei Stunden eine Zeit präsentiert, die sie sich wohl nicht vorstellen können. Trotz des ernsten Hintergrundes hatte der Speelbaas in seinem Stück den Humor nicht ausgespart, so dass auch das Lachen und Schmunzeln bei den Zuschauern keineswegs zu kurz kamen. Es war eine sehenswerte Aufführung, bei der alles stimmte - vom original Kriegsgeschrei eines Joseph Goebbels, über Lale Andersens „Lili Marleen“, der Erkennungsmelodie der BBC, bis hin zu den historischen Fahrzeugen, mit denen deutsche Feldjäger und amerikanische GI‘s über die Bühne brausten. Zu Bedauern waren die großartigen Darsteller, die mit ihren dicken Winterkostümen in der prallen Sonne spielen mussten. Die Zuschauer honorierten die insgesamt enorme Leistung mit reichlich Szenen- und Schlussapplaus.
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